Hochbegabte sind multitalentiert, haben zahlreiche Kompetenzen und ein breit gefächertes Interessenspektrum – nicht selten auch einen bunten ungewöhnlichen Werdegang. Sie können besondere Leistungen bringen, bieten hohe Kreativität und ungewöhnliche Problemlösungen. Clevere Unternehmen profitieren von diesen außergewöhnlichen Mitarbeitern. Doch viele Personalabteilungen sind leider nicht in der Lage, bereits anhand von Bewerbungsunterlagen die besonderen Fähigkeiten hochbegabter Menschen zu erkennen. Die nicht geradlinigen Lebensläufe werden eher als defizitär verstanden.

Welches volkswirtschaftliche Potential in Hochbegabten steckt, haben die meisten Firmen nicht entdeckt. In der Personalentwicklung spielt der Begabungsbegriff leider keine Rolle. Die Hochbegabung in der Arbeitswelt bleibt ein Randphänomen – auch deshalb, weil nur wenige Hochbegabte sich als solche sehen bzw. sich als solche zu erkennen geben. Hochbegabte haben es in der Arbeitswelt tatsächlich oft nicht leicht. Nebst vielen Vorteilen birgt die Hochbegabung im Job besondere Schwierigkeiten.

Was zeichnet Hochbegabte in der Arbeitswelt aus?

Hochbegabte ecken generell in Unternehmen an, da sie tatsächlich anders ticken als Normalbegabte. Sie sind sehr schnell, hochkreativ und denken viel komplexer. Unbewusst irritieren sie damit Kollegen und verstoßen auch gegen interne Regeln. Schnell werden sie von Chefs als Rivalen wahrgenommen und nicht selten in der Gruppe gemobbt, da sie vermeintlich die Hierarchie gefährden.

Die Gestaltungsmotivation Hochbegabter ist wesentlich höher als ihre Führungsmotivation. Normalerweise sind diese beiden Motivationen gleichermaßen ausgeprägt: Normalbegabte verbinden mit Gestaltungsmotivation einen Führungswillen, was in Bezug auf Hochbegabte zu einem großen Missverständnis führen kann. Diesen wird automatisch unterstellt, sofort höhere Positionen anzustreben, ohne vom System dazu berechtigt zu sein. Dabei entdecken Hochbegabte ganz selbstverständlich Verbesserungspotential und wollen lediglich die Optimierung sofort umsetzen. Für sie ist das wie ein Rätsellösen, ein Spiel, ein Abenteuer. Mit ihrem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und ihrer hohen Empathie denken sie nicht im Geringsten an eine Instrumentalisierung, um andere Ziele, wie Geld und Macht, zu erreichen.

Hochbegabte verfügen meistens über hervorragende Fachkenntnisse, die jedoch leider nicht ausreichen, um Karriere zu machen. Im Gegenteil, sie können Hochbegabten sogar zum Verhängnis werden. Neben Expertise gehört zum Erfolg die Einhaltung ungeschriebener Spielregeln gruppendynamischer Prozesse und eine geschickte Machtpolitik, die Hochbegabte oft nicht (er-)kennen. Soziales Unrecht und Ellbogenmentalität sind ihnen zuwider; und sie verabscheuen Routineaufgaben und Small-Talk. Um nicht Gefahr zu laufen, damit ausgegrenzt zu werden, arbeiten Hochbegabte mit angezogener Handbremse. Das verhindert Authentizität, bremst Potential aus und führt zu psychosomatischen Reaktionen, Anpassungszwang und Einsamkeit.

In der Arbeitswelt wird Authentizität als das Aufgehen eines Mitarbeiters in der ihm zugewiesenen Rolle mit seinen Pflichten, Rechten und bestenfalls Talenten verstanden. Viele Hochbegabte sehen hier eine Ambivalenz: Sie sollen authentisch sein und auch die Firmenauthentizität besitzen. Die Folge sind meistens Leistungsabfall und Depression.  Hier wird im Coaching geprüft, inwiefern es Wege innerhalb bzw. außerhalb des Unternehmens gibt.

In einem Arbeitsumfeld, das die Besonderheiten hochbegabter Menschen berücksichtigt, können Hochbegabte grundsätzlich alles, was a) ihrem Talent entspricht und b) selbstbestimmt ist. Sind Hochbegabte der Regisseur und Hauptakteur, so haben diese beiden die Fäden in der Hand und können ihre zahlreichen Trümpfe mit eleganter Leichtigkeit ausspielen und dabei Außergewöhnliches leisten. Dafür müssen einige Voraussetzungen zumindest teilweise erfüllt sein: a) Unabhängigkeit (selbst erteilte Aufgaben) b) Eigenständigkeit (selbst gesetzte Ziele) c) Selbstbestimmtheit im Denken, Arbeiten, Leben  d) Begegnung auf Augenhöhe.

Insgesamt bleibt das Verhalten Hochbegabter sowohl dem Unternehmen wie auch dem Hochbegabten selbst nicht bewusst. Vorsicht ist geboten bei einem Coming Out am Arbeitsplatz, da Hochbegabung von vielen Menschen nicht richtig verstanden wird. Falsche Rückschlüsse können sich nachteilig auf die Betroffenen auswirken. Bestenfalls kann man einen klugen Personaler auf seine Besonderheit hinweisen, um entsprechende Arbeitskonditionen anzugleichen.

Im Coaching mit meinen hochbegabten Klienten geht es meistens zunächst um die Erkenntnis und die Akzeptanz der eigenen Hochbegabung. Tatsächlich wissen viele nicht einmal um ihre Betroffenheit und können es nicht wirklich glauben. Wichtige Themen in der Arbeit mit Hochbegabten sind:  Verständnis für die Denkprozesse Nicht-Hochbegabter zu entwickeln und die Annahme zu korrigieren, dass mit einem ‘etwas nicht stimmt‘. Also erst die Erkenntnis, dann die Akzeptanz und dann die Integration der eigenen Hochbegabung.

Welche Berufe eignen sich für Hochbegabte?

Es zeigt sich, dass die Berufswahl für hochbegabte Menschen weitaus herausfordernder ist als für Normalbegabte. Als erwachsener Hochbegabter sollte man sich einige wichtige Fragen stellen:  Was interessiert mich wirklich? Was hat mich als Kind interessiert? Welches Wissensgebiet könnte eine Bereicherung sein? Macht mir meine Arbeit wirklich Spaß? Für die meisten Hochbegabten sind das Studium und das Streben nach Wahrheit und Schönheit ein Gebiet, auf dem man sein ganzes Leben lang Kind bleiben darf.

Mit ihrer hohen Gestaltungsmotivation könnten Hochbegabte leichter als alle anderen in einen ganz neuen Beruf tauchen. Ihre ausgeprägte Lust, in andere Berufe zu wechseln, kann allerdings zu ernsthaften Problemen führen, wenn man wenn der intellektuelle Reiz einer Aufgabe nicht mehr besteht.

Optimal sind all diejenigen Berufe,  in welchen man den Dingen auf den Grund geht, um Probleme anderer Menschen oder ganz abstrakte Fragestellungen zu lösen. Der Beruf soll mentale Abenteuer versprechen; man soll Fragen stellen können und dürfen, vor allem solche, auf die andere erst gar nicht gekommen wären.

Nicht selten finden Hochbegabte in Forschung und Entwicklung oder in Kunst und Kultur ihren richtigen Platz. Viele von ihnen entscheiden sich für die Selbständigkeit, da sie hier die größte Entfaltungsmöglichkeit für sich sehen. Was brauchen Hochbegabte? Einen hohen Gestaltungsspielraum, viel Verantwortung und Vertrauen. Und es darf nie langweilig werden!