Bedürfnisorientierte Erziehung, oder wie ich es viel lieber nenne, die
bedürfnisorientierte Beziehung ist ein heißes Diskussionsthema in Elternforen und auf Spielplätzen geworden. Nicht zuletzt, da es im Alltag viele Fragen aufwirft, mit denen sich sowohl junge, als auch erfahrene Eltern konfrontiert sehen. Die älteren Generationen können bei der Beantwortung kaum mehr behilflich sein. Vielmehr irritiert deren Meinung zum klein-familiären Leben, unter den heutigen Anforderungen gänzlich. Was damals noch als gangbar galt, wird heute von einem Teil der Elternschaft abgelehnt. Die Vielfalt alter und neuer Ansätze zur Gestaltung der Eltern-Kind- Beziehung und vor allem beziehungsbasierte und authentische Ansätze korrelieren in vielen Punkten nicht mit dem Weg der eigenen Eltern oder Großeltern.

Doch woher nehmen?

Meine Antwort darauf ist gleichzeitig einfach und leider auch kompliziert. Bleibt ganz bei euch. Ihr seid euer eigener Schlüssel. Einfach, oder? Etwa nicht!? Die größte Hürde, über die ich auf meinem Weg gestolpert bin, sind meine eigenen Glaubenssätze, entwickelt in einer Zeit ohne Kind. Sie beschrieben einen fantastischen Ansatz, wie ich mir mein Leben als Mutter vorstellte. Wie mein Kind zu sein hatte und wie ich sein werde.

Ich hatte keine Chance, diese auch nur im Ansatz umzusetzen.

Mit meinem ​Kind, welches sehr selbstbestimmt, intelligent und sehr feinfühlig ist, fühle ich mich enttarnt. Nur so tun, als wäre ich eine Autorität ist zum Scheitern verurteilt. Ich wollte auch keine Erwachsene sein, die mit vielen pädagogischen Sätzen durchs Leben geht, nicht authentische Botschaften aussendet. Eigene Grenzen aufzuzeigen fällt den meisten Menschen sehr schwer. Sie sollen an den Empfänger angepasst sein und sozial verträglich anmuten. Zudem sollen sie dem eigenen Gewissen genügen.

Fragestellungen sind sehr gut geeignet um Antworten zu finden.

Warum genau gehe ich davon aus, dass Dauertragen und Stillen nach Bedarf sowie Familienbett und Medienkonsum (die größten (Angst-)Themen) mein Kind nachhaltig schädigen könnten? Oder schädigt es mich? Meine Bedürfnisse? Gar meine anderen Beziehungen? Wonach richte ich mich bei meiner Beurteilung? Oft sind es die Zukunftsangst und ähnliche Stimmen, nämlich die der Vergangenheit. Alte Glaubenssätze und innere Kinder sowie die gesellschaftliche Stimme im allgemeinen.

„Siehst du, dieses ewige Getrage! Kein Wunder dass sich dein Kind nicht von dir lösen kann!“ „Nein, du bist schon groß. Nur Babys werden getragen!“ „Wenn das deine Freunde sehen, dass du noch aus der Nuckelflasche trinkst.“ „Flasche-Trinken macht die Zähne kaputt!“ „Computerspielen macht dumm und eckige Augen.“

Zu seinen eigenen Bedürfnissen zu stehen und diese im ersten Schritt zu erkennen bildet die Kernaufgaben der bedürfnisorientierten Beziehung.

Im zweiten Schritt ist es notwendig die Bedürfnisse seiner Beziehungspartner zu eruieren. Da der Begriff Bedürfnis gegenüber dem Begriff Wunsch häufig diskutiert wird, hier eine Definition von Beidem:
Be·dürf·nis
Substantiv, Neutrum [das]

1. Wunsch, Verlangen nach etwas; Gefühl, jemandes, einer Sache zu bedürfen, jemanden, etwas nötig zu haben, „ein Bedürfnis nach Ruhe“
2.[materielle] Lebensnotwendigkeit; etwas, was jemand [unbedingt]
zum Leben braucht, „die Bedürfnisse der Gesellschaft“

vs.
Wunsch
Substantiv, maskulin [der]

1. etwas, was sich jemand wünscht, was er haben, erreichen möchte [und was er als Bitte anderen, einem anderen gegenüber vorbringt], „ein großer, bescheidener, unerfüllbarer, brennender, verständlicher, geheimer, heimlicher Wunsch“

Mit diesen beiden Begriffsdefinitionen kann man sämtliche Situationen beleuchten. Und schnell wird klar, alles Zusammen ist ein dichtes Gewebe von Bedürfnissen und Wünschen, welches in einem Beziehungsgefüge miteinander korreliert.

Wer eine genaue Anleitung erhofft, ist bei der bedürfnisorientierten Beziehung nicht gut beraten.

Vielmehr bedeutet es die Arbeit an und mit sich und seinen Bedürfnissen und Wünschen. Es ist zudem der Dialog mit seinem Beziehungspartner. In Beziehungen, in denen der Beziehungspartner nicht kommunizieren kann (z.B. bei Kleinkind/Baby, manchmal auch der Lebenspartner oder Freunde) ist es zudem notwendig, dem Bedürfnis des Anderen eine objektive Stimme zu geben. Eine Fragestellung hierzu könnte sein:

Welches Bedürfnis steckt hinter dem mir missfallenden Verhalten meines Kindes?

Diese Stimme kann objektiver ausfallen, wenn ich mir ganz klar bin über meine eigenen Bedürfnisse und meine Bewertungen und Erwartungen deutlich vor Augen habe. Nur dann gelingt eine Abgrenzung von Bewertung und dem, was ich tatsächlich sehe. Viele von uns durften diese vorurteilsfreien Beobachtungsmöglichkeiten nicht erlernen. Darum kann die Auseinandersetzung damit anfänglich einen schmerzhaften Prozess darstellen. Die Beschäftigung mit meinem inneren Kind und mit dem Konzept der gewaltfreien Kommunikation nach Rosenberg hat mich auf diesem ersten Stück meines Weges gut unterstützen können. Wie ein Kind ist, oder zu sein hat, kann uns keine App ansagen. Keine standardisierte
Entwicklungskurve kann einem Kind seine tatsächliche Entwicklung absprechen. Das Kind wird von allen Seiten (Kita, Schule, Kinderarzt, Medien) zum bewerteten Objekt degradiert. Im zweiten Schritt werden die Eltern als verantwortlich an den Pranger gestellt, um dann im dritten Schritt vermeintliche Hilfen anzubieten.

Aus meiner beruflichen Erfahrung heraus kann ich beschreiben, die Mitarbeit wird nicht selten erpresst. Es sind damit erzwungene Hilfen, welche aus autoritären Zeiten stammen und antiquiert einen intuitiven Beziehungsansatz unterbinden. Meist zusammen mit einer einseitigen Bedürfnisausrichtung. Die Bedürfnisse der Eltern werden über den real vorhandenen des Kindes, welches außerhalb der „Entwicklungskurve“ liegt gestellt. Ohne dabei den eigenen, inneren Dialog anzuregen, eine Introspektive herzustellen und ein Bedürfnisgefüge überhaupt an die Oberfläche zu bringen. Es gibt bei diesem Vorgehen der Hilfen immer Verlierer und Gewinner. Meistens herrscht das Gesetz des „besser Sprechenden“. Wer sich äußern kann wird bedacht. Auch das Machtgefüge in der Familie und der Institutionen spielt eine entscheidende Rolle. Mit der offenen Darstellung eigener Bedürfnisse und denen der Schutzwürdigen gelingt es häufig besser den Blick auf die Situation scharf zu halten. Die Effekte für das tägliche Zusammenleben, allein aus der bedürfnisorientierten Haltung heraus, waren für mich eine Offenbarung. Ein Versuch ohne Verlust und Druck.