“Hochbegabte sind doch so intelligent, die haben bestimmt keine Probleme im Beruf!” Das ist einer der größten Irrglauben zu Hochbegabung bei Erwachsenen. Diese falsche Annahme hat häufig sicher ungewollte, aber dennoch nicht unschädliche Auswirkungen auf die Berufswahl und den Berufsweg von Hochbegabten. Denn nur weil jemand “schlau” oder “intelligent” ist, heißt das noch nicht, dass die Entscheidungsfindung im Berufsleben und der Karriereweg ohne Hindernisse bleiben. Im Gegenteil. Häufig erleben gerade Hochbegabte Stress, Frustration und Ängste in Bezug auf ihren Beruf.
Qual der Berufswahl
Hochbegabung gibt es in vielfältigen Formen und Arten. Manche Menschen sind beispielsweise besonders talentiert in einem Bereich wie etwa Sport, Kunst, Musik und Mathematik oder sie sind emotional besonders intelligent mit einem ausgeprägten Sinn gegenüber anderen oder einem starken und außergewöhnlichen Führungsstil. Und genau so vielfältig wie die Begabungen sind, sollten auch die Berufswege sein dürfen. Leider ähneln sich in bekannten Biografien Hochbegabter die Herausforderungen in Berufswahl und Berufsleben sehr stark.
Kinder, die bereits in ihren jungen Jahren von der besonderen Begabung erfahren haben und der Begabung nachgehen konnten oder sogar darin bestärkt wurden, erhalten häufig keine sinnvolle Beratung für ihre berufliche Zukunft. Warum auch, von außen scheint es so, als sei der Berufsweg vorgezeichnet. Für sie und für viele andere, die wie ich erst von der Hochbegabung wissen, seitdem sie längst erwachsen sind und die Berufswahl bereits getroffen haben oder mehr oder weniger in einen Berufszweig gerutscht sind, ist das Wort “Berufsberatung” wohl schon zum Unwort mutiert.
Die Tests, die das Interesse und die Eignung für einen Berufszweig messen, sind für den Durchschnitt gemacht. Sie wollen ihren Anspruch auf Allgemeingültigkeit verteidigen. Und das können sie, wenn man bedenkt, dass formal Hochbegabte – also Menschen mit einem IQ von 130 und mehr – nur einen Anteil von zwei bis drei Prozent der Bevölkerung ausmachen. Die Tests arbeiten nach dem System der Mustererkennung. Die Antworten werden ausgewertet und in bestimmte Muster verwandelt – oder eben in bestimmte Schubladen gesteckt. Bei begabten Menschen ist das Ergebnis häufig nicht so eindeutig und zeigt, dass die vielfältigen Interessen und Fähigkeiten eben auch verschiedene Berufswege vorzeichnen. Danach kann eine Person dann Tierarzt oder Tänzer werden und mit beidem vermeintlich gleich zufrieden sein.
Ich persönlich habe schon zahlreiche Tests dieser Art gemacht und das Ergebnis war nie gleich. Dabei hatte ich mir ein eindeutiges Ergebnis sehr gewünscht, weil ich mich mit den vielen Optionen und Möglichkeiten einfach überfordert gefühlt habe. Aber die Entscheidung zwischen Rechtswissenschaften, Sprachen, Grafikdesign, Fotografie und Pädagogik musste ich dann doch selbst treffen.
Wenn du vor einer solchen Entscheidung stehst, kann ich dir empfehlen, auf deine Werte zu schauen. Welcher der Berufszweige entspricht diesen Werten? Welcher Beruf hat wirklich Bedeutung und Sinn? Und wo liegt der Mehrwert, den du für dich und vielleicht auch andere schaffen kannst?
Typische Berufe für Hochbegabte
Wenn es um die typischen Berufe von Hochbegabten geht, fallen schnell Begriffe wie Ärztin, Anwalt, Manager … Kaum jemand ist ganz frei von diesen Einflüssen und viele leben sie noch genauso wie vor vielen Jahren. Und auch wenn ein Umdenken stattfindet und es einen Shift hin zu einem Bedürfnis nach einem glücklichen und erfüllten Leben gibt, erfahren gerade Hochbegabte häufig einen „starken Druck“, ihr Potential ausschöpfen und Karriere machen zu müssen. Das ist übrigens unabhängig davon, ob die Hochbegabung bewusst ist oder nicht.
So ist es wenig verwunderlich, dass einige Hochbegabte sich fühlen, als wären sie in einem falschen Beruf gelandet. In einem Beruf, der für andere, aber nicht für sie selbst passt, prestigeträchtig ist und der nicht allen Talenten gerecht wird. Viele trauen sich aber nicht, in einen anderen Beruf zu wechseln, weil sie dort vielleicht von ganz unten anfangen müssten. Das kann Angst machen und starke Selbstzweifel hervorrufen. Schließlich können Perfektionismus und der Drang, der oder die Beste zu sein, sehr groß sein. Manchmal lohnt sich der Sprung ins kalte Wasser aber, das kann ich aus Erfahrung sagen.
Ein guter Ansatz, die Motive und Zufriedenheit in deinem Beruf zu überprüfen: Stell dir vor, du müsstest dich für deinen Berufszweig bewerben und es wird ein Motivationsschreiben verlangt. Schreibe auf, warum du dich für den Berufszweig entschieden hast, warum du besonders gut geeignet bist und was du gern erreichen möchtest. Liste deine Erfolge in dem Beruf auf und formuliere, was deine Pläne für die nächsten drei bis fünf Jahre sind.
Burnout oder Boreout – Karrierewechsel gefällig?
Es ist immer herausfordernd, sich mit seinen größten Problemen auseinanderzusetzen. Der Wille zur Veränderung muss da sein, sonst helfen die besten Übungen und Gespräche nicht. Manchmal begegnen mir in meiner Arbeit als Coach Menschen, die seit Jahrzehnten immer mal mehr oder weniger unglücklich sind, im Burnout oder Boreout stecken, und gegebenenfalls sogar unter körperlichen Symptomen wie Panikattacken oder depressiven Episoden leiden. Umso schöner ist es zu sehen, welche Energie frei wird, wenn sie sich auf die richtigen Ziele richtet.
Hast du auch immer so viele Ideen und denkst, das haben andere bestimmt auch schon entwickelt und verwirfst sie wieder? (Glaub mir, andere haben es meist nicht.) Oder entwickelst du Ideen nur, weil dir das Denken an sich Spaß macht? Liebst du es, Wissen in ganz verschiedenen Bereichen anzuhäufen? Möchtest du „mehr“ bewirken, etwas „Großes“ schaffen? Brauchst du mehr Input, mehr Abwechslung im Beruf?
Ein großes „Ja!“ auf viele dieser Fragen kann man in Einklang mit dem Beruf bringen – schön, wenn es gelingt! –, aber manchmal setzt dies einen Karrierewechsel, die Selbstständigkeit oder eine Unternehmensgründung in Gang. Die Möglichkeiten sind so vielfältig wie die Menschen und ihre Begabungen. Es gilt also, zu werden, wer man ist. Leichter gesagt, als getan, aber wenn du diesen Artikel bis zu diesem Punkt gelesen hast, hast du schon den wichtigsten ersten Schritt getan. Stell dir doch mal vor, was du alles machen möchtest, was du lernen möchtest, wenn du dir um dein Einkommen keine Sorgen machen müsstest. Denke dabei ganz unverschämt groß.
Ich kann heute sagen, dass ich als Volljuristin nicht immer unglücklich war. Mir hat aber leider häufig etwas gefehlt – die Abwechslung und das ständige Lernen – und der negative Stress hat mir viel abverlangt. An den AHA-Moment zu meiner Hochbegabung kann ich mich zwar nicht mehr so genau erinnern, ich war vielleicht ungefähr 30 Jahre alt. Ich schreibe diesen Artikel aber an meinem eigenen Schreibtisch, auf dem sich Projektstapel türmen und ich kann ehrlich sagen, dass ich heute meinen Stress liebe und mich über jede einzelne Stunde Arbeit freue – weil sie selbstbestimmt ist und meinem ganz eigenen Konzept entspricht. Und dann kann ich auch noch etwas im Leben anderer bewirken, schreiben und meine Komfortzone immer weiter vergrößern. Das wünsche ich dir auch!